In dem Buch "Die Löwenapotheke zu Aschaffenburg. Geschichte - Zerstörung -Rekonstruktion" schreibt Peter Körner in einem Aufsatz:

"Die Rekonstruktion geschichtlicher Zeugnisse - und dies muß neben der Architektur alle Bereiche geschichtlicher Erinnerung treffen - gilt ihren Gegnern als Fälschung, plakativer gesprochen als 'Disneyland' oder 'Wachsfigurenkabinett'. Die Gründe, die Bürger zu Forderungen nach einer Wiederherstellung zerstörter Dokumente der Kultur bewegen können, gelten ihnen oft als intellektuell beschränkt, in mehr oder weniger bewusster Abwertung gar der Nähe zum 'gesunden Volksempfinden' unseligen Angedenkens verdächtig, wenn nicht gar einer dumpfen Heimat- und Boden-Schwärmerei.
Auf der anderen Seite sind zahlreiche Bürger dankbar, wenn das Hilfsmittel der Rekonstruktion zur Veranschaulichung eines historischen Sachverhalts beiträgt. Dabei haben sich die Nachbauten von Pfahlsiedlungen längst zu komplizierten 'virtuellen Spaziergängen' weiterentwickelt. Veranschaulichung ohne individuelle Verarbeitung ist freilich undenkbar. Sie kann allerdings - gleich in welcher Wissenschaftsdisziplin - niemals 'richtiges' Bewußtsein garantieren.
Zudem fällt es zunehmend schwer, sich in der Architektur, die sich fast ausschließlich an die Öffentlichkeit wendet, mit Produkten abzufinden, die darauf verzichten, urbane Signale auszusenden und alsbald vertraute Merkpunkte zu setzen. Nur vereinzelt scheint dies noch möglich, umso öfter finden sich brutalistische bis kitschige Inszenierungen. Architektur konnte bisher stets auf ihre soziokulturellen Bedingungen bezogen werden. So entsteht etwa Unbehagen nicht ohne Ursache.
In dem in vielen Aspekten schwer verständlichen 'Kampf' um den Wiederaufbau der 'Löwenaptheke' erschien 'die Fachwelt' als Anwalt einer wahren Lehre, die es gegen die Anfechtungen des Massengeschmacks zu verteidigen galt. In einer Zeit, in der sich auch die 'Fachwelten' rhetorischer Schablonen nicht entziehen können, in der 'Öffentlichkeitsarbeit' oft genug Belanglosigkeiten als kreative Leistungen vermarktet werden und in der die Formensprache immer schneller die gerade modischen Pferde wechselt, macht es die Praxis den Experten schwer, ihre Präzeptorenrolle gegenüber einem skeptischen Publikum zu behaupten.
[...]
Augenfällig erschien die philosophische Vorstellung des 'Wahren' und der 'Eigentlichkeit'. Auf die Spitze getrieben äußerte sich dies in der Behauptung, eine Rekonstruktion müsse alle Baumethoden der Zeit um 1500 unter Einschluß der sanitären Verhältnisse anwenden. Dies sei ebenso unmöglich wie die Bedingung, dass nur der spätmittelalterliche Handwerker mit seinen Techniken die echte Rekonstruktion ausführen dürfe. Es gebe keine exakten Bauaufnahmen über die Einzelheiten, so dass jeder Nachbau nur eine Erfindung darstellen könne.
[...]
Es darf daher nicht verwundern, wenn Bürger den 'Leistungen' der Moderne mißtrauen und in Grenzfällen eine Rekonstruktion befürworten. Augsburg stellte die vernichtete goldene Decke seines Rathaussaals wieder her. Wie richtig die Entscheidung war, zeigt sich deutlich, wenn frühere und zum Glück nicht ausgeführte moderne Entwürfe gegenübergestellt werden. Sie waren der ursprünglichen Gestalt nicht ebenbürtig.
Vergleichbare Beispiele lassen sich für den deutschen Raum zahlreich finden. Auf internationaler Ebene zeigen andere Nationen ein unbeschwerteres Verhältnis zur Rekonstruktion. Die Suche nach dem 'wahren Gehalt' eines Objekts beeinflusst die Praxis weniger als hierzulande, wo sie die Tradition eines deutschen Idealismus noch als besonders wirksam erweist." (S. 134-139)

Bemerkenswert auch, was der Kunsthistoriker Jürgen Paul, der sich ja auch für den Wiederaufbau der Frauenkirche engagiert hatte, im Jahre 1979 hinsichtlich der Debatte um den Wiederaufbau des Hildesheimer Knochenhaueramtshauses in einem Aufsatz ("Das Knochenhaueramtshaus in Hildesheim - post mortem") geschrieben hat: "Aus heutiger Distanz, angesichts der fast wieder zu 'Originalen' gewordenen rekonstruierten Innenräume barocker Schlösser und Kirchen zwischen München, Bruchsal und Berlin, angesichts des längst historisch und sogar denkmalpflege-theoretisch legitimierten polnischen Wiederaufbaus und mannigfacher unbekümmerter Rekonstruktionsprojekte wie an Frankfurts Römerberg oder für einen neuen Leibnizgiebel in Hannover, fragt man sich, warum die Hildesheimer ihr Knochenhaueramtshaus nicht wiederhaben durften, wo es ihnen doch so viel wert war." (S. 129)

Man möchte beim Lesen dieser Zeilen hinzufügen: Und warum dürfen die Frankfurter ihre Altstadt nicht wiederhaben, wo sie ihnen doch so viel wert ist? Die Hildesheimer jedenfalls haben letzten Endes ihr Knochenhaueramtshaus wiederbekommen...

 

"Zum Thema Brandschutz: In dem Buch „Fachwerk als historische Bauweise" von G. Ulrich Großmann und Hubertus Michels heißt es:

"Brandgefahr? Holz kann brennen, doch das Fachwerkhaus ist keineswegs ein besonders brandgefährdetes Haus. Wesentlich gefährlicher sind beispielsweise Stahlbetonbauten, insbesondere wenn sie mit PVC-Böden ausgelegt und reichlich mit Gardinen ausgestattet sind. Die angebliche Brandgefährlichkeit beruht vor allem auf der ausgeprägten Unkenntnis vieler Bürokraten, die von Genehmigungsbüro der Stadtverwaltung aus ein kleines und ein großes Problem zu bewältigen haben: Das kleine Problem ist, die Gefährdungen durch Bauwerke so einzuschränken, dass der Sachbearbeiter seiner Aufgabe (z. B. als Bauaufsicht) gerecht wird. Das große Problem ist, alles zu unterlassen, was in einem tatsächlichen Schadensfall auf ihn zurückfallen könnte - denn wenn etwas passiert, so hat man sich daran gewöhnt, nicht nach den Ursachen zu fragen, sondern man prüft, ob irgendeine Genehmigungsbehörde einen Fehler gemacht hat. Für den Beamten kann eine sachlich richtige Entscheidung, die aber nicht den DIN-Normen oder Verordnungen entspricht, zu einem Verhängnis werden. Er muss dem Buchstaben des Gesetzes gerecht werden, wobei der Sinn durchaus auf der Strecke bleiben kann. Die Gerichte fragen später nur, ob die Bestimmungen eingehalten wurden." (S. 230)

Die Ausführungen über die Brandgefahr sind besonders deshalb von Interesse, weil die Autoren definitiv nicht zu den Befürwortern von Rekonstruktionen gehören.

Einige interessante Aufsätze findet man in dem Buch "Der Marktplatz zu Hildesheim - Dokumentation des Wiederaufbaus". Folgendes Zitat aus dem im Buch zu findenden Aufsatz von Walter Achilles beschreibt den besonderen Wert der Rekonstruktion eines ganzen geschlossenen Ensembles:

"Erfreulicherweise blieben aus dieser Zeit [Anmerkung: dem Mittelalter] Bauzeugen erhalten wie die Michaeliskirche, St. Godehard und der Kreuzgang des Doms, die den überörtlichen Vergleich nicht zu scheuen brauchen. Mit dem Rang dieser Bauten können sich jene am Marktplatz nicht messen. Nur das Knochenhauer-Amtshaus macht auf dem Gebiet des Fachwerkbaus eine Ausnahme. Lohnte es sich bei diesem Sachverhalt, die Bebauung wieder im alten Stil zu vervollständigen?
Die Frage kann nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantwortet werden, sie ist teilweise auch falsch gestellt. Die Qualität eines Einzelbauwerks kann nicht mit der eines ganzen Ensembles von Häusern verglichen werden, bei denen die Gesamtwirkung mehr als die Summe ihrer Teile ist. Gerade sie fehlte den Architekturschöpfungen nach der Zerstörung. Sie wollten sich nicht so zueinander fügen, daß ein geschlossenes Bild entstand, sie entfalteten in ihrer Gesamtheit keine Raumwirkung, die den Besucher des Platzes befriedigte.
[...]

Weder alte Bilder noch Photographien können zu einer so intensiven Begegnung mit der Vergangenheit führen, wie es bei den neuen Häusern im alten Gewand der Fall ist. Mit keinem anderen Mittel konnte es gelingen, die frühere Raumwirkung des Platzes so intensiv nachempfinden zu lassen. Dazu gehört unabweislich der geschlossene Ring von Gebäuden, bei denen grundsätzlich die größtmögliche Ähnlichkeit mit ihren Vorgängern angestrebt werden sollte." (S. 25-26)

Im gleichen Buch aus einen Aufsatz von Wolfgang Riemann: "Man kann nicht darüber streiten, ob eine historische oder eine neuzeitliche Fassade besser ist. Das Urteil fällt immer die Geschichte. Man kann eine Meinungsbildung herbeiführen, ob man die frühere Fassade wiederhaben will oder nicht - und anschließend die bestmögliche Qualität anstreben, in dem einen wie dem anderen Fall." (S. 73)

Konrad Wiese (damals Stadtbaurat in Braunschweig) äußert sich in seiner "Denkschrift zum Wiederaufbau der Alten Waage und zur Erneuerung der historischen Braunschweiger Neustadt" folgendermaßen:

"Zum Sinngehalt der Rekonstruktion in der heutigen Baukultur

Der Begriff des Denkmals, so wie er in der Bundesrepublik interpretiert und gehandhabt wird, ist für die baukulturellen Aufgaben nach dem immensen Umfang der Zerstörung der historischen Bausubstanz im Zweiten Weltkrieg nicht umfassend genug. Auf den Prinzipien der Denkmalpflege zu verharren, die auf dem '1. Tag der Denkmalpflege' in Dresden im Jahre 1900 von Cornelius Gurlitt formuliert worden sind, als wir noch in einer heilen Welt im Überfluß von Baudenkmälern lebten, hieße die Veränderung unserer baulichen Umwelt ignorieren.
[...]
Architekturrekonstruktionen lassen sich in der Baugeschichte der Neuzeit, des Mittelalters und sogar des Altertums nachweisen. Wiederaufbau, Nachbau, Rekonstruktion, Kopie, Reproduktion und Restaurierung sind begrifflich nicht eindeutig festgelegt. Er erscheint auch nicht angebracht, feste Definitionen einzuführen und daran die angesprochenen Bauwerke zu messen, weil die Absichten und Formen historischen Denkens in ihrem Wandel und in ihrer inhaltlichen Bedeutung nicht einheitlich gewürdigt werden können. Viel aufschlußreicher ist es, die Ursachen der Rekonstruktionsbestrebungen aufzuzeigen. Sie münden in die Frage ein, warum Menschen sich mit Geschichte auseinandersetzen, eine Frage, die Friedrich Nietzsche existentiell beantwortete: 'Damit der Menschen sagen kann: Ich erinnere mich.' Träger solcher Erinnerung sind Relikte aus der Vergangenheit, und - wenn diese nicht mehr vorhanden sind deren Rekonstruktionen und Bilder 'auf der Suche nach vergangenen Zeiten'." (S. 6)

Die komplette Streitschrift kann man für 1,50 Euro beim Stadtarchiv Braunschweig bestellen.